Waren die Anasazi Kannibalen?


Kratzspuren an Knochen, als hätte man versucht, das Fleisch abzuziehen od. zertrümmerte Knochen -> Hinweise auf Kannibalismus?

Dieser Frage könnte man gleich zwei weitere folgen lassen. Warum waren sie es ? Waren alle Anasazi Kannibalen ?

1967 (1969?) fand der Archäologe Christy Turner in einer Ruine eines Pueblos im Polacca Wash in Arizona an Knochen Kratzspuren, als wenn man versucht hätte, dass Fleisch abzuziehen. Andere Knochen waren zertrümmert, als hätte man sie gekürzt, damit man sie in einen Kochtopf hineinbekam. Diese Spuren von Bearbeitung mit scharfkantigen Werkzeugen sind typisch für die Zubereitung von Nahrung. Schon vor dieser Entdeckung hatten Forscher die Vermutung auf Kannibalismus gehabt. Vielleicht hatte der Verzerr von Menschenfleisch eine rituelle Bedeutung ?

Was die Kannibalismus-These bestärkt, ist der Fakt, dass an den Knochen keinerlei Verwitterung oder Tierfraß zu finden ist. Turner - einer der Forscher, der die Menschenfresser-These stützt - hatte in 30-jähriger Tätigkeit weitere Menschenknochen an 40 verschiedenen Orten auf dem Colorado-Plateau untersucht und Indizien auf menschliche Bearbeitung gefunden. Er hatte die Funde unter Felsüberhängen, in Abfallgruben sowie aus Kivaböden geborgen, die er in eine Zeit zwischen 900 bis 1200 datiert hat. Diese Zeitspanne entspricht den Einflußbereich von Chaco Canyon, wo auch Relikte gefunden wurden. Auch südlich von Mesa Verde im Mancos Canyon in Colorado wurden 1992 menschliche Knochen gefunden, die in eine Zeit aus dem 12. Jahrhundert zurückdatiert werden konnten. Teilweise hatten diese Funde Hitzespuren.

Rituelle Menschenopfer war der Brauch bei einigen mittelamerikanischen Hochkulturen, aber auch bei den Kariben. Um das Jahr 900 könnte eine Gruppe von Tolteken in das Anasazi-Gebiet eingefallen sein, haben die Anasazi unterworfen und ihr neues Reich von Chaco Canyon aus regiert. Archäologen fanden bei einem Großhaus einen Schädel mit angespitzten Zähnen, was nur in Mittelamerika Brauch war. Was die Vermutung festigen könnte, dass Menschengruppen aus Mittelamerika nach Norden gewandert sind, ist auch der Fund einer Pfeiler-Kolonnade im Great House Chetro Ketl, was sonst nur in Mesoamerika typisch war, jedoch an keinem anderen Ort im Südwesten der Vereinigten Staaten.

Vielleicht unterjochten die Einwanderer die heimischen Anasazi und machten sie durch den Verzerr von Menschenfleisch gefügig. Um das Jahr 1130 - zu jener Zeit herrscht eine Dürreperiode, die Mißernten zur Folge hat - haben sich die Anasazi von der Herrschaft der Menschenfresser durch eine Revolte wahrscheinlich befreit und haben das Tal des Schreckens - Chaco Canyon - fluchtartig verlassen. Danach war es 800 Jahre lang menschenleer geblieben.

Die Archäologen, welche in Cowboy Wash - 100 Kilometer nordwestlich von Chaco Canyon - Opfer von Menschenfressern gefunden haben, glauben nicht an die Existenz von toltekischen Menschenfressern und auch nicht an eine Kontrolle durch Chaco Canyon. Nahe Cowboy Wash sind auch noch weitere Fundstellen von Kannibalismus entdeckt wurden. Archäologen haben diese Relikte zwischen 1150 bis 1175 n. Chr. datiert, also eine Zeit nach der Blüte von Chaco Canyon.

Gegner der These von Turner bestreiten den Kannibalismus der Anasazi. Bearbeitete Knochen würde nicht gleich bedeuten, dass auch das Fleisch verspeist worden ist. Es könnte sich um bestimmte Bestattungsrituale gehandelt haben, die mit komplexen metaphysischen Vorstellungen verknüpft gewesen sind. Was auch dagegen spricht, ist die Tatsache, dass keine Szene von Kannibalismus in den bildlichen Darstellungen der Anasazi gefunden wurde. Vielleicht gab es den Verzerr von Menschenfleisch aus höchster Not, um eine Hungersnot abzuwenden. Was gegen diese Annahme wiederum spricht, ist die räumliche wie auch zeitliche Streuung der Funde.

Ob die Anasazi tatsächlich Menschenfresser - Kannibalen - gewesen sind, ist bis heute nicht eindeutig bewiesen. Um diese Frage einmal mit "JA" beantworten zu können, ist noch viel Zeit notwendig und vor allem bessere Funde.